Kunstreise nach Delft

Kunstreise nach Delft „Das muss eine schöne Reise gewesen sein, wenn alle so fröhlich aus dem Bus aussteigen.“ So fasste ein Beobachter unserer Ankunft in Münster seinen Eindruck zusammen. Ja, wir haben sehr viel gesehen, erlebt und erfahren. Und wir hatten das große Glück, in Delft und Den Haag ausnahmslos exzellente und sympathische Guides zu haben. Hinzu kam das Wetter, das stets zum Programm passte. Sowohl in Delft als auch in Den Haag fiel uns die farbenprächtige, vielfältige saisonale Bepflanzung – auch als Begleitgrün an den Hauptstraßen – auf. Feststellen konnten wir auch, dass sich die Radfahrer in den Niederlanden und in Münster gleich verhalten, wir haben in den Niederlanden gleichwohl keinen einzigen Radfahrer mit Helm gesehen. Erste Station unserer Kunstreise war Delft, die Geburtsstadt von Johannes Vermeer, die uns mit strahlendem Sonnenschein empfing.

Auf dem Weg zum ersten Programmpunkt jagte uns aber ein außerplanmäßiges Erlebnis einen großen Schrecken ein. Unsere Clubfreundin Eva Wildeman stürzte und zog sich eine Kopfverletzung zu. Glück im Unglück war, dass dies vor einer Apotheke geschah und die Mitarbeitenden die stark blutende Wunde erst einmal verbinden konnten. Im Krankenhaus wurde Eva Wildeman dann sehr gut und gründlich versorgt, sodass wir sie mit dankbarem Applaus abends wieder in unserer Runde begrüßen konnten. Die Hochachtung unserer Gruppe ist Eva Wildeman für ihren souveränen Umgang mit der Situation sicher.

Delft ist eine wunderschöne Stadt, die u. a. für ihr historisches Zentrum, als Geburtsstadt von Johannes Vermeer, für das „Delfter Blau“ und die renommierte Technische Universität Delft bekannt ist. Von den 100.000 Einwohnern sind 25.000 Studierende. Die historische Altstadt ist malerisch mit ihren Grachten und prachtvollen alten Gebäuden, die Zeugnis geben vom Goldenen Zeitalter, in dem Delft sich zu einem blühenden Handelsstützpunkt sowie einem kulturellen und wissenschaftlichen Mittelpunkt entwickelte. Bei einer Grachtenrundfahrt lässt sich das historische Delft bestens entdecken. Skipper und Guide Luc, der an der TU Delft studiert, informierte uns charmant und angereichert mit Anekdoten über die am Wasser gelegenen Sehenswürdigkeiten und steuerte das Boot zugleich sicher durch die Grachten mit ihren vielen Brücken.

In Delft gibt es 431 Brücken, 24 haben wir bei unserer Rundfahrt passiert. Wir sahen bei der Grachtenrundfahrt u. a. das kleinste Museum in Europa, eine Telefonzelle mit Kunst, das ehemalige Mädchen-Waisenhaus, die Synagoge, das Ost-Indische Haus, den Sitz der Delfter Kammer der Vereinigten Ostindischen Compagnie (VOC), die Waffenkammer Hollands und Westfrieslands, die Vorstraat, eine der ehemaligen Brauerei-Hochburgen in Delft (im 15. Jahrhundert existierten in Delft 200 Brauereien, heute sind es drei). Dem Tipp von Luc, doch mal das lokale Bier zu probieren, folgten wir abends im Hotel und wurden nicht enttäuscht. Luc wusste auch zu berichten, dass die Höhe der zu zah-enden Steuern von der Anzahl der Fenster zur Grachtenseite und davon abhing, ob die Haustür an der Vorder- oder Rückseite des Hauses war. Das war die Erklärung, warum an einigen Häusern keine Haustür an der Frontseite zu sehen oder aber ein Fenster an der Grachtenseite zugemauert war. Wir bestaunten bei der Rundfahrt auch die Alte Kirche (Oude Kerk) und insbesondere ihren schiefen Turm (im Volksmund als „Scheve Jan“ bezeichnet), der sich – so Luc – „2 Meter nach rechts und 1 ½ Meter zu uns“ neigt. Statische Bedenken gebe es aber nicht. Die schwere Glocke im Turm, die größte historische Glocke der Niederlande, die 9.000 kg wiegt und einen Durchmesser von 2,3 m hat, wird aus Sicherheitsgründen nur zu offiziellen Anlässen geläutet. In der Alten Kirche befindet sich u. a. das Grab von Johannes Vermeer.

Im Hafen zeigte uns Luc die Perspektive der Stadtansicht von Delft, die Johannes Vermeer in seiner „Ansicht von Delft“ 1660/61 verewigt hatte. Wir konnten dann nach der Grachtenrundfahrt nach eigenem Belieben auf Entdeckungsreise gehen. Der Marktplatz von Delft, der als einer der schönsten in Europa gilt, lädt mit seinen umliegenden Cafés zum Verweilen ein, was Mitglieder bei herrlichem Sonnenschein und dem vorzüglichen niederländischen Apfelkuchen auch entspannt nutzten.

Der Marktplatz wird geprägt an der westlichen Seite durch das wunderschöne Rathaus (Stadthuis) aus dem 17. Jahrhundert und an der östlichen Seite durch die Neue Kirche (Nieuwe Kerk) mit ihrem 109 m hohen Turm, dem zweithöchsten Kirchturm der Niederlande. Historisch ist Delft besonders mit Wilhelm I. von Oranien, dem Gründervater der niederländischen Nation, verbunden, der seine Residenz 1572 nach Delft als be- festigte Stadt verlegte. In seiner Delfter Residenz, dem Prinsenhof, wurde er 1584 ermordet. Seit der Ermordung von Wilhelm I. von Oranien in Delft dient die Neue Kirche als Grablage für das niederländische Königshaus. Die Bedeutung von Wilhelm I. von Oranien für die Niederlande zeigt auch der Text der niederländischen Nationalhymne. Am zweiten Tag der Kunstreise haben wir Den Haag und vor allem das Mauritshuis und das Escher-Museum besucht.

Das Mauritshuis ist ein Adelspalais, das sein Namensgeber, Johann Moritz (Maurits) von Nassau-Siegen, von 1633 bis 1644 als Wohnsitz unmittelbar neben dem Binnenhof errichten ließ. 1820 kaufte der niederländische Staat das Mauritshuis als Sitz für die Königliche Gemäldegalerie. 1822 wurde das Mauritshuis als Museum eröffnet. Kern der heute rund 800 Gemälde umfassenden Sammlung sind die Meisterwerke des 17. Jahrhunderts, des Goldenen Zeitalters. Wer kennt es nicht, „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ (1665), das wohl bekannteste Gemälde von Johannes Vermeer, das uns schon im Museumsfoyer überdimensional begrüßte. Und nun standen wir vor dem Original des nur 45 x 40 cm großen Werkes und konnten es bestaunen. Der Betrachter hat den Eindruck, dass ihn das Mädchen direkt anschaut. Es ist kein Porträt, sondern eine Studie. Besonders auffällig ist der im Licht funkelnde, namensgebende Ohrring. Die Wissenschaft- ler gehen davon aus, dass es tatsächlich keine Perle ist, weil sie zu groß ist. Vielleicht handele es sich um eine lackierte Perle aus Glas oder ein Produkt von Vermeers Phantasie. Weiterer Höhepunkt im Vermeer-Zimmer ist die „Ansicht von Delft“, die berühmteste Stadtansicht des niederlän- dischen Goldenen Zeitalters. Ein eindrucksvolles Spiel von Licht und Schatten. Dass das hinter den Wolken aufkommende Sonnenlicht die Nieuwe Kerk erleuchtet, erzeugt eine Tiefenwirkung, ist vermutlich aber auch von nationaler Symbolik, weil sich in der Kirche das Grab Wilhelms I. von Oranien befindet.

Wir erfuhren auch Näheres über das Gemälde „Der Distelfink“ des in Delft geborenen Malers Carel Fabritius aus dem Jahr 1654. Von Fabritius gibt es nicht viele Werke, denn sein junges Leben wurde mit 32 Jahren durch die Explosion des Delfter Pulvermagazins („Delfter Donnerschlag“ 1654) jäh beendet. Weitere Schwerpunkte der Führung waren „Die Anatomie des Dr. Tulp“ (1632) und „Saul und David“ von Rembrandt. Der historische Binnenhof neben dem Mauritshuis ist das Zentrum der niederländischen Politik. Er beherbergt seit 1982 auch das offizielle Büro des niederländischen Ministerpräsidenten in einem kleinen Turm. Diese Nachbarschaft hat uns einen Blick auf den scheidenden (in- zwischen ehemaligen) Regierungschef und designierten NATO-Generalsekretär Mark Rutte ermöglicht, der – begleitet von einem Fernsehteam – am Mauritshuis vorbeilief. Zurzeit wird der Binnenhof aufwendig renoviert. Des- halb waren leider nicht alle Bereiche zugänglich und der direkte Weg, den Binnenhof an der Westseite zu verlassen und zum Hofvijver zu gelangen, blockiert, sodass sich der imposante Blick auf den Hofvijver und die Skyline verzögerte. Nach der Mittagspause ging es zum Escher-Museum. Das Escher-Museum befindet sich in einem ehemaligen königlichen Palast an der Lange Voorhuet, einer der schönsten Alleen der Niederlande. Königinmutter Emma (1858–1934) lebte und arbeitete von 1901 bis zu ihrem Tod in diesem Palast.

Nach ihrem Tod wurde das Gebäude Arbeitspalast der Königinnen Wilhelmina, Ju- liana und Beatrix. 1991 verkaufte die königliche Familie das Gebäude der Stadt Den Haag unter der Bedingung, dass dort nur kulturelle Aktivitäten stattfinden dürfen. Im Jahr 2002 wurde im Palast das Escher-Museum eröffnet (Escher in Het Paleis). In der Dauerausstellung sind rund 150 Werke des weltbekannten niederländischen Künstlers Maurits Cornelis Escher (1898–1972) ausgestellt. Escher ist vor allem bekannt für seine Darstellungen „unmöglicher Figuren“, die ein Spiel mit optischer Täuschung und verschachtelten Perspektiven sind. Auf den ersten Blick scheinen die Darstellungen natürlich zu sein, auf den zweiten Blick aber sind sie widersprüchlich. Wasser lässt er nach oben fließen, Treppen enden im Nirgendwo, Vögel verwandelt er in Fische. „Das Schönste im Leben ist, Menschen zu überraschen.“, hat M.C. Escher einmal gesagt. Mit seinem „Stilleben mit Spiegel“ zeigt uns Escher mit höchster Detailtreue einen Toilettentisch, eine abgebrannte Kerze, Bürste, Kamm, Zahnbürste, im Spiegelbild aber sehen wir eine typische italienische Gasse. Auf seiner Lithographie „Drawing Hands“ (1948), einem seiner berühmtesten Werke, sind zwei Hände zu sehen, die sich selbst zeichnen. Weitere Themen, mit denen Escher, ein von der Welt der Mathematik beeinflusster Künstler, sich befasste, sind die Unendlichkeit und Spiegelungen.

In der ehemaligen Küche des Palastes, im MC Café, haben wir dann unter dem Eindruck der fantasievollen Welt des M.C. Escher noch eine kleine Pause bei Kaffee, Tee o.ä. eingelegt. Im Royal Delft Museum haben wir am dritten Tag unserer Kunstreise dank Margriet die Geschichte und die einzelnen Schritte bei der Herstellung des wunderschönen Delfter Blau“ (in Wirklichkeit Steingut) kennengelernt. Wir konnten auch einer Porzellanmalerin bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen. „Delfter Blau“ ist übrigens keine geschützte Marke. Das „Delfter Blau“ entstand Ende des 16. Jahrhunderts als preiswertere Alternative zum blauen und weißen chinesischen Porzellan, das durch die Niederländische Ostindien-Compagnie in die Niederlande importiert wurde. Das „Delfter Blau“ erlebte zwischen 1650 und 1750 eine Blütezeit, als es in Delft 32 Keramikunternehmen gab. Davon existiert heute nur noch ein Unternehmen, die 1653 gegründete und von uns besuchte Manufaktur „De Koninklijke Porceleyne Fles“ (international bekannt als Royal Delft), die 1919 von Königin Wilhelmina das Privi- leg erhielt, den Zusatz „Koninklijke“ zu führen. „Delfter Blau“ ist ein Symbol des nationalen Stolzes und der niederländischen Kunst. So verwundert es nicht, dass König Willem Alexander und Königin Maxima es als Staatsgeschenke nutzen und persönlich in der Manufak- tur in Delft waren, um das Porzellan für Staatsempfänge auszuwählen. Die Baukeramik war im 19. Jahrhundert ein bedeutender Teil des Unternehmens, der wichtige Aufträge erhielt, u. a. für den Friedenspalast in Den Haag. Um 1980 wurde diese Abteilung mangels Nachfrage geschlossen. Auch im Royal Delft Museum konnten wir einen Rembrandt bestaunen: „Die Nachtwache“ bestehend aus 480 „Delfter Blau“-Fliesen und in gleicher Größe wie das Original (ca. 3,60 m x 4,40 m). Zwei Meistermaler haben mehrere Jahre daran gearbeitet. Nicht sichtbar ist, dass ein Maler an der linken Seite und der andere an der rechten Seite begonnen hat und sie sich in der Mitte getroffen haben.

Ein schöner Abschluss der Tage in Delft und Den Haag war der gemeinsame Mittagsimbiss der Gruppe im Royal Delft Museum. Am Ende der Reise blieb der Dank an unseren Busfahrer Frank Steinmeier, der uns gut und sicher gefahren und die Herausforderungen der teilweise engen Straßen mit ruhiger Hand gemeistert hat. TEXT UND FOTOS: MICHAELA HEUER