Thüringen

Am 15. Oktober begaben sich 30 Civilistinnen und Civilisten auf eine spannende Studienreise nach Thüringen. Es war ein kühler Sonntagmorgen, als wir in warme Winterkleidung gehüllt, auf unseren Reisebus warteten. Drinnen war es behaglich warm und so konnten wir bequem schon am frühen Nachmittag unser Reiseziel und Domizil für die nächsten fünf Tage, das Dorint Hotel in Weimar, erreichen. Zu unserer Gruppe stieß am Nachmittag unsere Gästeführerin, Frau Bathe, hinzu. Sie war uns von unserer Reise nach Potsdam bestens bekannt. Weimar, die kleinste Kulturhauptstadt Europas, hatte an diesem Sonntag noch ein besonderes Highlight zu bieten. Es war der letzte Tag des Zwiebelmarktes, ein Markt, der schon auf das 17. Jh. zurückreicht: Früher wurde auch noch Vieh verkauft, heute erinnern Stände mit kunstvollen Zwiebelgestecken an die alte Zeit. (01) Durch das Gedränge in den Gassen gelangten wir zum Theaterplatz, einem Ort für ein perfektes Gruppenfoto. Hier stehen sich Goethe und Schiller auf einem Sockel auf Augenhöhe gegenüber. Die beiden Dichter haben Weimar zum kulturellen Zentrum Deutschlands gemacht; im Hintergrund das Nationaltheater, wo 1919 ein Grundpfeiler unser Demokratie gesetzt wurde. Angenehme Ruhe herrschte in der Stadtkirche Peter und Paul. Hier konnten wir das dreiflügelige Altarbild bewundern, das Lucas Cranach dem Jüngeren zugerechnet wird. (02) Ebenso bedeutend wie das Altarbild ist der sogenannte Lutherschrein, ein Triptychon mit Bildnissen Martin Luthers. (03) Mit einem vorzüglichen Abendessen klang der Abend aus. Erfurt stand am nächstenTag auf dem Plan. Unser erster Anlaufpunkt war das Augustinerkloster. (04) Hier hatten wir eine bemerkenswerte Begegnung mit unserer rhetorisch begabten Museumsführerin, die uns einen eindrucksvollen Bericht über den Augustinerorden gab. (05) Wir erfuhren von ihr, dass Martin Luther 1505 in das Kloster eintrat, nachdem er in einem Gewitter um sein Leben fürchten musste und danach gelobt hatte, Mönch zu werden. Luther wurde auch hier zum Priester geweiht, studierte später an der Universität in Erfurt und wurde dort zum Doktor der Theologie promoviert.

Danach führte uns ein Spaziergang entlang der Gera zur alten Synagoge. (06) Bereits im 11. Jh. gab es in Erfurt eine jüdische Gemeinde mit Synagoge, Friedhof und Ritualbad. Die alte Synagoge ist die am besten erhaltene Mitteleuropas mit ersten Bauspuren aus jener Zeit. Das gut restaurierte Bauwerk beherbergt den „Erfurter Schatz“, einen Zufallsfund mit Silbermünzen und wertvollen Schmuck-stücken aus dem Mittelalter, die ein jüdischer Bankier dort vergraben haben soll. Leider konnten wir die Synagoge nur von außen besichtigen. Unser nächstes Ziel war die Krämerbrücke, die zu den bekanntesten Wahrzeichen der Stadt gehört und eine beidseitige geschlossene Brückenbebauung über die Gera mit Fachwerkhäusern aufweist. Sie war ursprünglich Teil des west-östlichen Handelsweges Via Regia. Bereits im Mittelalter war dies ein guter Platz für Handelsreisende, eine Rast einzulegen. Diesem alten Brauch folgten wir Civilisten an dieser Stelle mit Vergnügen. Der Nachmittag war dem Erfurter Dom St. Marien und der Severikirche gewidmet.

Aus der Altstadt kommend, eröffnete sich uns Civilisten ein eindrucksvolles Panorama. (07) Sportlich wurden wir gefordert, da wir 70 Stufen zum Domberg hinaufsteigen mussten. Eine kleine Verschnaufspause für ein Gruppenfoto legten wir ein. (siehe Titelseite) Leider hatte es unsere Reiseleitung versäumt, zu diesem Ereignis die berühmte „Gloriosa“ läuten zu lassen. Im Dom ist man zunächst von dem räumlichen Eindruck überwältigt. Hier fällt dem Betrachter der gotische Chor mit seinem effektvoll beleuchteten barocken Hochaltar und dem kunstvoll geschnitzten Chorgestühl auf. (08) Der Dom in seiner ursprünglichen Form war die Hauptkirche des 724 von Bischof Bonifatius gegründeten Bistums Erfurt. Vom Dom sind es nur ein paar Schritte zur gegenüber liegenden Severi Kirche. Sie gehört zu den bedeutendsten gotischen Bauten in Deutschland. In der Kirche befindet sich ein prachtvoll gestalteter Sarkophag, in dem die Gebeine des Kirchenpatrons Severus von Ravenna liegen, die nach Erfurt im Jahre 836 überführt wurden. Der im Jahr 1365 erstellte Sarkophag ist ein Meisterwerk gotischer Bildhauerkunst. Nach der Besichtigung Erfurts mit vielen faszinierenden Einblicken ging es zurück nach Weimar. Wer nun aber geglaubt hatte, er könne einen entspannten späten Nachmittag in der Sauna des Hotels verbringen, wurde eines besseren belehrt. Zum Abschluss des Tages stand noch das Bauhausmuseum in Weimar an. Weimar gilt als die Wiege des Bauhaus, eine Kunstschule, die 1919 von Walter Gropius gegründet wurde. Ihr Ziel war es Kunst, Handwerk und Technologie zu vereinen. Aus einfachen Formen wie Dreieck, Quadrat und Kreis sollten Industrieformen der Zukunft erstellt werden, nebst der 3DVarianten dazu. Von dieser Grundidee ging dann später die Bauhausarchitektur hervor. Ein gutes Beispiel ist das imposante Bauhausmuseum. (09) Von der umfangreichen Sammlung konnten wir nur einen kleinen Einblick anhand ausgewählter Objekte gewinnen: wie z.B. die bekannte Bauhauswiege, die aus den Grundformen Kreis, Dreieck und Rechteck besteht, desgleichen Stühle, Hocker und eine Küche mit „Schütten“: Alles unter dem Motto „Form folgt der Funktion“.

Die berühmte Bauhausleuchte von Wilhelm Wagenfeld steht zum Erwerb für jemanden mit gut gefüllter Brieftasche im Museumshop zum Kauf an. Die Bauhausuniversität Weimar besuchten wir am nächsten Morgen. (10) Sie knüpft an Henry van de Veldes Kunsthochschule und dem von Walter Gropius gegründeten Bauhaus an. Der Begriff „Bauhaus“ im Universitätsnamen steht seit 1996 für gelebte Experimentierfreude, Offenheit und Kreativität. Wir konnten uns nur kurz im Gebäude aufhalten um das beeindruckende Treppenhaus zu bewundern. Danach wieder ein Kontrast, nun stand Weimar aus der Zeit Goethes auf dem Programm. Bei freundlichem Himmel und Raureif spazierten wir durch den Park an der Ilm, der im 18. Jh. auch unter der Einwirkung Goethes gestaltet wurde. Der persische Dichter Hafis erhielt am Rande des Parks ein Denkmal; er inspirierte Goethe zu seinem „West-östlichen Divan“. Vom Liszthaus ging es vorbei am Tempelherrenhaus, (11) einem früheren Versammlungsort der Weimarer Elite – heute eine Ruine, zu Goethes Gartenhaus. 1776 war es Goethes erster eigener Wohnsitz in Weimar. (12) Herzog Carl August war der Geldgeber, da er Goethe unbedingt in Weimar halten wollte. Für Goethe war es auch im Alter noch ein wichtiger Rückzugsort. Im Garten steht eine von ihm entworfene Sandsteinskulptur: Ein Quader, auf den eine Kugel gesetzt ist. Er nannte sie „Stein des guten Glücks“. (13) Bei der Betrachtung des Kunstwerks könnte man sich fragen: War Goethe damals schon ein Vordenker des Bauhausstils gewesen? Weiter besuchten wir die Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Goethes Wohnhaus am Frauenplan und das Goethe Nationalmuseum. Eine sportliche Leistung für einen Tag. Dazwischen nur eine kleine Mittagspause. An dieser Stelle möchte ich eine Lobrede auf die Thüringer Rostbratwurst halten. Bei den kurz bemessenen Mittagspausen war sie für uns oft Retter in der Not. Auf dem Holzkohlengrill gebraten, kommt sie knackig und saftig mit einem Streifen aus Senf zwischen zwei Brötchenhälften auf die Hand. Sie kann locker mit jeder Currywurst mithalten. Und das Beste, sie war fast überall verfügbar. (14)

In der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, 1691 gegründet, besichtigten wir den berühmten Rokokosaal, der durch seine Eleganz und die Harmonie seiner Architektur den Betrachter in Erstaunen versetzt. (15) Der für Weimar berühmte Ginkgo-Baum befindet sich schräg gegenüber. Goethe widmete seiner späteren Liebe, Marianne von Willemer, dazu ein Gedicht und stellte das Ginkgo-Blatt aufgrund dessen Form als Sinnbild der Freundschaft dar. Dieses Gedicht trug wesentlich zum Bekanntheitsgrad und somit zur Verbreitung des Ginkgo-Baums in Deutschland bei. Im Wohnhaus am Frauenplan nebst Garten lebte und arbeitete Goethe fast 50 Jahre lang. Die Räume dienten der Geselligkeit und dem kulturellen Austausch. (16) Auch seine Kunst- und naturwissenschaftlichen Sammlungen fanden dort ihren Platz. Dem Haus schließt sich ein zauberhafter Garten an, er war für ihn ein Ort der Inspiration und Muße. (17) Neben seinem ehemaligen Wohnhaus ist heute das Goethe-Nationalmuseum untergebracht. Hier sahen wir uns die Ausstellung „Lebensfluten-Tatensturm“ an. Die Ausstellung zeigt die Vielschichtigkeit Goethes als Schriftsteller, Naturforscher, Zeichner und Sammler und beherbergt einzigartige Exponate von ihm und seiner Zeit, darunter auch wertvolle Originalschriften. Am vierten Tag fuhren wir nach Eisenach mit der Wartburg. Am Fuße des Burgbergs konnten wir zwischen einem anstrengenden Aufstieg oder dem Transport mit einem Shuttle-Bus wählen. Ein sportlicher Aufstieg hatte zumindest den Vorteil, an der Burg gut durchgewärmt anzukommen, da ein sehr kühler Wind wehte. (18) Mit der Wartburg sind ihr Gründer Ludwig der Springer, die Legende um den Sängerkrieg, die hl. Elisabeth und natürlich der Aufenthalt Martin Luthers fest verbunden. Mit kurzweiligen Anekdoten führte uns eine Mitarbeiterin durch die vergangenen Zeiten der prächtig renovierten Räume. Den Tintenfleck an der Wand in Luthers Arbeitszimmer – der früher noch zu sehen war – konnten wir jedoch nicht mehr entdecken. (19)

Eisenach am Fuße der Wartburg ist der Geburtsort von Johann Sebastian Bach. Bei einem Gang durch die Stadt sahen wir sein Geburtshaus von 1685 und besuchten die Georgenkirche, in der er im Schulchor sang und seinen ersten Musikunterricht erhielt. Hier predigte auch Luther in der Zeit der Reformation, wodurch die Kirche zu einer der ältesten protestantischen Gotteshäuser wurde. (20) Das 500 Jahre alte Bürgerhaus, das Bach bewohnte, ist heute ein Museum und zeigt in 18 einer Ausstellung Bachs Leben und Werk. (21) Zunächst erlebten wir als Besucher ein kleines Konzert auf den historischen Tasteninstrumenten Cembalo, Spinett, Clavichord und Heimorgel. Ein weiteres Highlight des Museums war ein Musikraum, in dem man in hängenden Sitzschalen, sogenannte „Bubble Chairs“ über Kopfhörer Musikstücke von Bach in bequemer Lage genießen kann. In einem Klangraum werden über eine multimediale Show Werke von Bach gespielt, so dass sich die Zuhörer wie in einem Konzertsaal fühlen können. Auf dem Rückweg nach Weimar legten wir noch einen Stopp in Gotha ein. Von der Bergkuppe, auf der das mächtige Residenzschloss Friedenstein in der ersten Hälfte des 17. Jh. erbaut wurde, hatten wir einen wunderbaren Blick auf die Altstadt mit dem berühmten „roten Rathaus“. (22) Grau und wolkenverhangen war der Tag der Abreise. Das passte gut zu unserem nächsten Ziel, denn wir verließen eine Stätte der Kultur, um nur wenige Kilometer entfernt ein Mahnmal der Unkultur anzutreffen: das ehemalige KZ Buchenwald. Hier betrieb die SS von 1937 bis 1945 ein Konzentrationslager, in dem eine Viertelmillion Menschen aus über 50 Nationen gefangen gehalten wurden. Am Eingangstor zum Lager liest man die Inschrift „Jedem das Seine“, die ein Häftling in Bauhausschrift anfertigen musste. (23) Diese Inschrift verdreht auf zynische Weise die ursprüngliche Bedeutung aus der Römerzeit „Justitia suum cuique distribuit“ (Die Gerechtigkeit teilt jedem das Seine zu) , indem den Häftlingen täglich vor Augen geführt wurde, dass sie rechtmäßig aus der Gesellschaft ausgegrenzt seien. Nach dem Besuch der Stätte des Grauens gingen wir anschließend zum Glockenturm, der weit bis ins Land hinein sichtbar ist. Vor dem Glockenturm steht eine aus Bronze geschaffene Figurengruppe, die dem siegesreichen Widerstandskampf im Lager gewidmet ist und die Selbstbefreiung der Häftlinge am Ende des NS-Regimes zeigt. (24) Und wieder ein Kontrast zum Ende unserer ereignisreichen Reise: Mülhausen, die Partnerstadt Münsters. Ein erfreulicher Anlass, der uns zum Abschluss allen gut tat. Mühlhausen ist eine Stadt mit weitgehend mittelalterlichem Charakter. Von Bomben im 2. Weltkrieg verschont, ist ihre alte Bausubstanz häufig noch deutlich sichtbar. Ein großer Teil der ursprünglichen Stadtmauer nebst Stadttor und die zum Teil gut restaurierten Gebäude beeindruckten uns sehr. In der Mitte zwischen Oberstadt und Unterstadt liegt das alte Rathaus. Hier hatten wir zwar keinen Besichtigungstermin angekündigt, aber mit Hilfe des Charmes von Frau Bathe wurden wir noch kurz eingelassen. Das Rathaus stammt aus dem 13. Jh. und gehört somit zum ältesten städtischen Kern Mühlhausens. Glücklicherweise konnten wir noch zwei historische Räume des Rathauses besichtigen, die auch heute noch für Empfänge und Veranstaltungen genutzt werden. Es ist die Rathaushalle mit einem Bretter-Tonnengewölbe, mit barocken Deckenmalereien geschmückt. Aber das eigentliche Prunkstück des Hauses ist die historische Ratsstube, die komplett mit Renaissance-Wandmalereien versehen ist. Hier kann man sozusagen zum Greifen nah Kaiser Maximilian II., umrahmt vom Fürstbischof von Mainz und dem Kurfürst von Bayern, bewundern. (25)

Münster und Mühlhausen verbindet eine enge Städtefreundschaft, die am 14. September 1990 im Friedenssaal von Münster unterzeichnet wurde. Seitdem werden regelmäßig Kontakte auf gesellschaftlicher, kultureller und Verwaltungsebene gepflegt. Darüber hinaus besteht ein Partnerschaftsverein „Freunde Mühlhausens“. Im „Sitzungssaal Münster“ befindet sich unter anderem eine Sammlung von Karnevalsorden aus Münster. Unsere letzte Station in Mühlhausen war in der Unterstadt die Divi-Blasii-Kirche. Sie stammt aus dem 13. Jh. und gehört zu den frühesten gotischen Kirchen Mitteldeutschlands. König Heinrich der VII. schenkte sie einst dem Deutschen Orden. Zu der wertvollen Ausstattung der Kirche gehören die Glasmalereien der Fenster aus dem 13. Jh. Eine Fensterrosette erinnert an Notre Dame in Paris. Alles geht einmal zu Ende, und so verabschiedeten wir uns offiziell von Frau Bathe, die uns wieder mit ihren vorzüglichen Fachkenntnissen und perfekter Organisation durch 5 Tage unserer Reise begleitet hatte und sagten herzlichen Dank für ihren großartigen Einsatz. (26) Als Fazit lässt sich sagen: Es war eine perfekte Reise mit vielen positiven Eindrücken. Auch wenn es manchmal anstrengend war, haben alle wacker mitgehalten und glücklicherweise wurde niemand krank. An dieser Stelle sprechen wir noch ein großes Dankeschön aus an alle, die mit großem Engagement zum Gelingen der Reise beigetragen haben: Eckard Andersson hatte die Reise minutiös geplant und konnte zu unserem großen Bedauern die Fahrt aus gesundheitlichen Gründen nicht antreten, Ingrid Andersson übernahm spontan für ihn die Durchführung. Sie hat alle organisatorischen Dinge souverän geregelt. Und natürlich Frau Bathe, die alle Besuche in Museen wieder glänzend vorbereitet hatte und uns mit ihrer enormen Sachkenntnis beeindruckt hat. Wir freuen uns auf ein nächstes Mal. TEXT UND FOTOS: DIETER UND ELKE VON SCHWERTFÜHRER