Brücke zur geistigen Welt
Vom 3. Februar bis zum 12. Mai 2024 widmete sich das Kunstmuseum Pablo Picasso Münster mit einer Ausstellung zwei unterschiedlichen Themen: einerseits der Kunstrichtung des Expressionismus, zum anderen der Begegnung des spanischen Malers Pablo Picasso mit dem amerikanischen Schriftsteller Ernest Hemingway.
Die Ausstellung umfasste ca. 130 Werke, vor allem in Drucktechnik, ergänzt von Gemälden und Skulpturen. Schwerpunkt der Ausstellung lag auf dem Schaffen der beiden expressionistischen Künstlergruppen, die sich „Die Brücke“ sowie „Der Blaue Reiter“ nannten. Die uns bereits bestens bekannte sachkundige Kunsthistorikerin Inge Milkowski führte uns durch die Ausstellung, indem sie an von ihr ausgewählten Werken deren Thematik und gestalterische Umsetzung erläuterte.
Grundsätzliches Anliegen der jungen Künstler des Expressionismus war die Abkehr vom traditionellen Stil, wie er in den Kunstakademien der Zeit gelehrt wurde. Nicht mehr das, was man sah, sollte wiedergegeben werden, sondern das, was der Künstler dachte und fühlte. Der Expressionismus war Ausdruck einer Gesellschaftskritik, z. B. gegen überhastete Industrialisierung, Materialismus, Herrschaft des Geldes, einseitige Diesseitigkeit, aber auch gegen eine drohende Vereinsamung des Individuums. Kräftige, unharmonische Farben, breite, eckige Pinselstriche und Aufgabe der Zentralperspektive standen für „Überwindung“ der sichtbaren Wirklichkeit; stattdessen sollten sie Gefühle wie auch Auflehnung und Wut sowie Gewalt und Frustration ausdrücken.
Die „zarteren“ Bilder, wie z. B. die liegend aneinander gekauerten Pferde von Franz Marc standen für die Suche nach einer neuen Spiritualität, die hinter den sichtbaren Dingen zu suchen war. Am 7. Juni 1905 gründeten die vier Architekturstudenten der Technischen Hochschule Dresden Ernst-Ludwig Kirchner, Fritz Bleyl, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff eine Künstlervereinigung, die sie „Die Brücke“ nannten. Mit Malerei und anderen Ausdrucksmitteln wollten sie die Aussagen der Kunst verändern. Ihre „Brücke“ sollte in die Zukunft führen und zeigen, was nach ihrer Meinung hinter der abgebildeten Wirklichkeit stand.
Für ihr Schaffen mieteten sie gemeinsame Atelierräume und organisierten bereits im September 1906 die erste Ausstellung. Zuvor hatten sich die Künstler Emil Nolde, Max Pechstein, Otto Mueller und andere der Gruppe angeschlossen. Im Jahr 1911 siedelte die Gruppe nach Berlin über, wo sich bereits ein Zentrum für zeitgenössische Kunst entwickelt hatte. Die Mitgliederzahl war jedoch nicht stabil, denn Emil Nolde und Fritz Bleyl verließen die Gruppe bald wieder, und im Jahr 1913 löste sich die Künstlervereinigung ganz auf, vor allem, weil Kirchner, der Initiator der Gruppe, seine Kollegen abschätzig behandelt hatte. Danach arbeitete jeder Künstler unabhängig für sich und entwickelte seinen eigenen Stil.
Die Stilmittel der neuen „expressionistischen“ Malweise aber verbanden weiterhin alle miteinander. Eine traditionelle Bildkomposition wurde aufgegeben – die Zentralperspektive hatte ihre Bedeutung verloren. Konturen wurden überdeutlich akzentuiert, abgebildete Personen und Gegenstände verzerrt, Farben häufig grell und dick aufgetragen. Die Großstadt mit ihrem turbulenten Treiben rückte ins Blickfeld. Neben der Malerei gewannen der Holz- und der Linolschnitt, mit denen man kräftige Konturen und harte Kontraste setzen konnte, an Bedeutung.
Aus einer in München am 22. Januar 1909 gegründeten Künstlergruppe, die sich „Neue Künstlervereinigung München“ (NKVM) nannte und zu denen Wassily Kandinsky, Alexej Jawlensky, Gabriele Münter, Marianne von Werefkin und Karl Hofer gehörten, ging nach der Abspaltung einiger Mitglieder „Der Blaue Reiter“ hervor. Die Namensfindung scheint eher einen zufälligen Ursprung zu haben. Kandinsky erklärte ihn folgendermaßen: „Den Namen ‚Der Blaue Reiter‘ erfanden wir am Kaffeetisch in der Gartenlaube in Sindelsdorf; beide liebten wir Blau, Marc – Pferde, ich – Reiter: So kam der Name von selbst.“ Die blaue Farbe symbolisierte nach Meinung der Künstler die Sphäre des Geistigen, die ebenfalls oft bevorzugte grüne Farbe stand für die Natur, das Wachstum, aber auch für die Weisheit. Nach der Meinung Kandinskys sollte Kunst in die Transzendenz führen.
Die Künstler des „Blauen Reiters“ veranstalteten Kunstausstellungen und gaben eine Zeitschrift heraus. Ebenso wie „Die Brücke“ revolutionierten sie die Kunst. Auch sie brachen radikal mit allen etablierten Gesetzen der künstlerischen Darstellung. Ihre Motive waren häufig, aber nicht nur, Landschaften, Tiere, architektonische Werke, auch Personen, letztere oft in statischer Präsentation (August Macke). Bei Ausbruch des 1. Weltkriegs löste sich die Gruppe auf. Nach dem Krieg, der schwere soziale Verwerfungen nach sich zog, wandten sich die expressionistisch arbeitenden Künstler oft sozialen Themen zu.
Es ist die Zeit der „Neuen Sachlichkeit“. Frau Milkowski verwies auf die in der Ausstellung gezeigten Werke von Otto Dix, Max Beckmann und Ernst Barlach. Die Berliner Epoche der „Roaring Twenties“ mit den scharfen Gegensätzen von Wohlstand und sozialem Elend, mit extatischer Ausgelassenheit und tiefer Verzweiflung waren bevorzugte Themen der Künstler. Otto Dix und Max Beckmann, Max Pechstein und andere arbeiteten mit den gleichen künstlerischen Elementen wie die Expressionisten der Vorkriegszeit. Ihr bevorzugtes künstlerisches Mittel waren Graphiken, weil sie sich leicht vervielfältigen lassen und einen großen Personenkreis erreichen können.
Einige Künstler wie z. B. Otto Lange und Ernst Barlach wandten sich, um den Schock des 1. Weltkriegs verarbeiten zu können, auch religiösen Themen zu. Erinnert sei an Barlachs „Schwebenden Engel“ mit den Zügen von Käthe Kollwitz sowie an die von Max Pechstein gezeichnete Holzschnittreihe „Vaterunser“.
Eine weitere Ausstellung des Picasso-Museums hatte die künstlerische Beziehung von Pablo Picasso und Ernest Hemingway zum Thema. Eingangs zeigte eine Fotoreihe der Fotografen Robert Capa und David Douglas Duncan jeweils Momentaufnahmen aus dem Privatleben der beiden Künstller von unterschiedlicher Persönlichkeit, jedoch im künstlerischen „Dialog“ miteinander verbunden. Beide Künstler faszinierte der Stierkampf als Darstellung eines Spiels auf Leben und Tod, aber auch als Symbol des „machismo“, des Kults der Männlichkeit. Hemingways Fiesta und Tod am Nachmittag sowie die in der Ausstellung gezeigten Graphiken Picassos zum Thema „Stierkampf“ stehenfür ein gemeinsames Lebensthema.
Auch das Thema „Krieg und Frieden“ reflektierten beide Künstler in ihrem Schaffen. Hemingways Roman Wem die Stunde schlägt und Picassos Bild Guernica sowie seine Friedenstaube legen Zeugnis davon ab. Begegnet sind sich die beiden Männer, der gern auf großem Fuß lebende Abenteurer und Weltenbummler Hemingway und der in Frankreich verwurzelte Spanier Picasso im Pariser Salon der jüdischen Amerikanerin Gertrude Stein. Sie war Mäzenin, Kunstsammlerin und Schriftstellerin. Ihr Pariser Domizil der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bot in Frankreich lebenden amerikanischen Individualisten ein Zuhause und führte sie mit namhaften französischen Künstlern zusammen. DR. RENATE LOOS