Carlo Levi
Die Teilnehmer des Literaturkreises (19.April 2023) stimmten in ihrer Wertschätzung des 1945 erschienen Buches „Christus kam nur bis Eboli“ von Carlo Levi überein. Das lebhafte Gespräch verlief deshalb weniger konrovers als in vergangenen Sitzungen. Es ging eher darum, die politischen, historischen und literarischen Facetten gemeinsam zu entdecken und zu reflektieren. Das Buch vermittelt Einsichten über die Geschichte Süditaliens, insbesondere über die Zeit des Faschismus unter Mussolini. Der Autor Carlo Levi, der im Jahre 1935 wegen seiner antifaschistischen Aktivitäten in das Hochland Lukaniens im Süden Italiens in die Verbannung geschickt worden ist, beschreibt die Situation der Einwohner, die in Armut und Rückständigkeit fern der Zivilisation und der Kultur, abgekoppelt von geschichtlicher Entwicklung, leben. Die Bauern des Hochlandes fühlen sich nicht als Christen, nicht als Menschen, sondern als Vieh (als „bestie“). In diesem Buch zeigt der Autor die trostlose bäuerliche Welt des italienischen Südens, wie sie Jahrhunderte bestand, und verdeutlicht damit eine Problematik Italiens, die sich bis heute auswirkt. Beeindruckt zeigten sich die Teilnehmer des Lesekreises von der sensiblen und poetischen Sprache. Carlo Levi,der auch Maler war, lässt mit seinen feinsinnigen Schilderungen geradezu ein Gemälde entstehen. Aufmerksam und psychologisch nachvollziehbar beschreibt er die faschistischen Amtsträger, die gewissenlos ihre Karriere in den Vordergrund stellen und die sich über die Belange der verzweifelten Menchen hinwegsetzen. Der Schriftsteller erfasst einerseits die soziale Realität der armen Bauern, erkennt aber gleichzeitig ihre eigensinnigen und dunklen Seiten, ihren Zauberglauben, ihre archaische Religiosität, ihre Verstricktheit mit dem Brigantentum und ihre Abhängigkeit von Naturgewalten und Leidenschaften. Der Autor verzichtet auf den Aufbau einer durchgehenden Handlung. In Form eines Essays geht er vielen einzelnen Geschehnissen und Erscheinungen nach. Seine Analyse beschränkt sich nicht auf eine objektive Darstellung, sondern zeugt von seiner Betroffenheit über die existentiellen Not der Menschen und von seiner Ablehnung der faschistischen Bewegung, der das Leid der armen Bauern gleichgültig ist. ASTRID WESSERLING