Golo Berg
Führen durch Dirigieren – das Streben nach Vollkommenheit des Klangkörpers vom Podium aus I
m Rahmen der Abendveranstaltung am 27.08.2024 begrüsste im Namen des Civilclubs unsere Präsidentin Michaela Heuer keinen Geringeren als den Generalmusikdirektor der Stadt Münster, Golo Berg, im vollbesetzten Großen Saal. Nach Begrüßung weiterer Clubgäste und dem traditionellen gemeinsamen, überaus schmackhaften Abendessen, stellte unsere Präsidentin die Vita des Vortragenden vor. Seit der Spielzeit 2017/18 trägt der in Weimar geborene Referent das Amt des „GMD“ der Stadt Münster.
Golo Berg übernahm das Wort zunächst mit einem freundlichen Dank an die Beharrlichkeit und Geduld der Präsidentin, da er mehrfach seinen Vortrag hatte verschieben müssen. Frei vortragend führte Golo Berg mit einer bemerkenswerten Leichtigkeit seine Zuhörer in das Thema des heutigen Abends einleitend mit einem Auszug des bulgarischen Schriftstellers und Literaturnobelpreisträgers Elias Canetti (1905–1994) und dessen Werk „Der Dirigent“ ein.
Anhand dieses Textes erläuterte der Referent in der historischen Entwicklung die einem Dirigenten quasi automatisch zugestandenen Insignien hinsichtlich der Wirkung auf Orchester, Publikum und generell der Öffentlichkeit. Durch den im wahrsten Sinne herausgehbenen, erhöhten Podiumsplatz werde der Dirigent zum alleinstehenden mächtigen Patriarchen. Das Bild dieses erhöht Alleinstehenden, dessen kleinste Bewegungen seines Taktstocks quasi zu einer Entfesselung der Macht über Leben und Tod stilisiert wird, führt bis heute bei Musikinteressierten zu einer Ikonisierung. Herr Berg nannte als Beispiel berühmte Dirigenten (u.a. Herbert von Karajan, Arturo Toscanini, Wilhelm Furtwängler), deren ritualisierte Ausdruckform jeweils einen personenkultartigen Status begründeten, aber eigentlich vom Fokus der Musik auch ablenkten. Das Heben des Taktstockes lässt Verstummen, Anspannen und Entfesseln – ein wahrhaft spürbares Bild der umfassenden Projektion auf den Dirigenten vermittelte dabei Golo Berg seinen Zuhörern.
Anschließend ging Herr Berg auf die seit den 1970er Jahren verbesserten Ausbildungen sowohl der Orchestermusiker als auch der Dirigenten ein. Der Musiker absolviere nun ein instrumentenausbildendes Studium an Musikhochschulen, bevor er über Probevorspielen hinter den berühmten Vorhängen für ein Orchester ausgewählt wird. Das Probejahr überstanden, ist er/sie ab dann unkündbar mit dem betreffenden Orchester verbunden. Im Unterschied dazu führt der Weg zum Dirigenten heute entweder primär über Studium oder über den Weg des Einzelmusikers mit anschließendem Dirigenten-Studium. Den Kreis schliessend kam Golo Berg nun auf die aus seiner Sicht entscheidenden Aufgaben des Dirigenten. Sein Verve ‚aus erster Hand‘ war durch den Zuhörer un- mittelbar greifbar: anhand von Ludwig van Beethoven als Komponist und schwerhörigem Dirigenten nannte Herr Berg als einzigartige Aufgabe des Dirigenten, nicht einfach Noten von Anderen spielen zu lassen, sondern die notwendige Kunst und Fähigkeit, eine hohe Anzahl von gleichartigen und verschiedenen Orchester-Instrumenten koordiniert und so erst zu einem stimmigen Klangkörper (= Gesamtheit der bis zu 70 Einzelmusiker) zu verbinden. Dabei müsse ein/eine Dirigent/in sich in die Person des ursprünglichen Komponisten und dessen Zeit hineinfinden und seine/ihre Orchestermitglieder undemokratisch – d.h. führend – hinsichtlich des Einsatzes, der Tonhöhe, des Rhythmus und der Tempi „organisieren“.
Herr Berg gab ein eigenes Beispiel, wie selbst der Gebrauch von Bildern und Metaphern die Vorstellung des Dirigenten zu den Musikern erfolgreich transportieren kann. Die Funktion des Dirigenten könne man auch als Teamleader auffassen, der feinste Gemütsveränderungen der Musiker wahrnehmen und manchmal auch begleiten müsse. Trotzdem gäbe es ein Agreement, dass Privates oder Konflikte untereinander ausserhalb des Orchesters bleiben müsse. Der Dirigent und „GMD“ müsse in seiner Leitung eine gewisse Distanz zu den Orchestermitgliedern aufrecht erhalten. Im letzten Part ging der Generalmusikdirektor auf die gegenwärtigen Umstände der Symphonieorchester inDeutschland und in der Stadt Münster ein. Bundesweit existieren 80 Orchester. Das Symphonieorchester der Stadt Münster spiele meist zehn verschiedene klassische Symphonien jeweils 2–3 im Jahr. Die Vorbereitung einer Symphonie erfordere bis zu 20 Proben und ist damit sehr aufwändig.
Herr Berg versuche mit ‚seinem‘ Orchester mit experimentellen Formaten bisher musikfernere Bevölkerungskreise anzusprechen. Bei Antritt seiner GMD-Position hatte er in der Universitätsstadt Münster ein insgesamt experimentierfreudigers Publikum erwartet, was aber auch nicht vom Grundsatz schlimm sei. Er erinnert, dass die Position des Generalmusikdirektors durch Wahl durch die Orchestermusiker alle fünf Jahre verlängert oder neu vergeben ist. In seinem Fall wäre dies kürzlich mit einem hohen Grad der Zustimmung erfolgt. Golo Berg zog ausklingend als Fazit: der Beruf des Dirigenten mache Freude und sei priviligiert. Ihm mache es Freude, sich in Münster zu bewegen und grundsätzlich erkannt und angesprochen zu werden – auch wenn es manchmal anstrengend sei. Es gäbe im Beruf gute, aber auch „schreckliche“ Momente.
Nach lang anhaltendem Beifall stellte sich Golo Berg den vielen Fragen unserer anwesenden Mitglieder. Geduldig, angenehm locker und mit einem Schuss Humor stellte sich Herr Berg diesem Wissensdurst. Als ausgesprochen authentisch wirkender Dirigent, Mensch und Realist erhielt er zur Recht nach dieser Fragerunde nochmals langen Applaus. Der Abend klang mit anhaltenden Tischgesprächen und dem Beisammensein aus. Ein gelungener Abend!
Dr. Peter Vogt