Kunstkrimi im CC

Einen Kunstkrimi präsentierte Kunsthistorikerin Eline van Dijk beim Clubabend am 22. Februar den Anwesenden im voll besetzten Festzimmer. Die Civilistinnen und Civilisten folgten gebannt ihren Einblicken in die Provenienzforschung am LWL-Museum für Kunst und Kultur anhand eines konkreten Beispiels mit dem Gemälde „Getreideernte“ von Max Liebermann.

Die Provenienzforschung befasst sich mit der Frage, woher die Objekte im LWL-Museum für Kunst und Kultur kommen. Dabei geht es nicht ausschließlich um den Aspekt des NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts (umgangssprachlich oft unzutreffend auf „NS-Raubkunst“ verkürzt). So kann ein berühmter Voreigentümer den Wert des Objektes steigern. Bestenfalls kann die Provenienzforschung die Herkunft des Werkes bis zur Hand des Künstlers zurückverfolgen. Soweit sind wir bei unserem exemplarischen Werk noch nicht.

In der Sammlung Klassische Moderne im LWL-Museum für Kunst und Kultur wurden in einem zweijährigen Projekt 120 Gemälde mit offener oder verdächtiger Provenienz untersucht. Dazu gehört das zurzeit nicht in der Schausammlung befindliche Gemälde von Max Liebermann mit dem Titel „Getreideernte“ (1874), anhand dessen uns Eline van Dijk, seit 2018 Provenienzforscherin am LWL-Museum für Kunst und Kultur, mit viel Herzblut einen spannenden Einblick in ihre Arbeit gab.

Erster Schritt ist die Objektidentität. Welche Informationen zur Vergangenheit geben die Vorder- oder Rückseite des Gemäldes preis? Auf der Rückseite des Gemäldes befindet sich ein vergilbtes, teils beschädigtes Etikett mit der Aufschrift „No. 3574 Liebermann“. Dann folgt der Blick in das Inventarbuch, das beim Landesmuseum seit 1908 gut geführt ist (bis 1991 analog). Gibt es dort Hinweise zum Eigentümer?

Nächster Schritt ist ein Blick in die Objektakten. Dort fand sich ein Testament eines Privatsammlers, aus dem sich ergab, dass die „Getreideernte“ von Max Liebermann dem Landesmuseum aufgrund einer testamentarischen Verfügung überlassen wurde. Im vierten Schritt werden externe Archive, etwa die Arolsen Archives, das weltweit größte Archiv zu Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus in Bad Arolsen, einbezogen und Fachliteratur ausgewertet. Von berühmten Künstlern wie Max Liebermann gibt es Werkverzeichnisse. Hier konnte Eline van Dijk auf das von Eberle herausgegebene Werkverzeichnis der Gemälde von Max Liebermann zurückgreifen.

Aber Vorsicht: Es gibt Beispiele, dass auch Werkverzeichnisse unzutreffende Angaben enthalten und damit irreführende Spuren legen können. Das Werkverzeichnis weist zur Provenienz genau für den interessierenden Zeitraum eine Lücke von 59 Jahren auf zwischen dem Eintrag „1920-Paul Stern, Berlin, erworben von der Galerie Paul Cassirer“ und dem nächsten Eintrag „28.11.1979 Auktion Sotheby‘s, London, eingeliefert von Unbekannt“. Die Zahl 3574 auf der Rückseite des Gemäldes ist übrigens mit der Zahl auf der archivierten Karteikarte der Galerie Cassirer identisch, mit der sich nachvollziehen lässt, dass der Berliner Kunsthändler Paul Cassirer das Gemälde an Paul Stern verkauft hat.

Wie versucht die Provenienzforscherin nun, die genauen Umstände aufzuklären, wie „Paul Stern, Berlin“ das Eigentum an dem Gemälde verloren hat? Die Recherche wird dadurch erschwert, dass es in den 1920-er Jahren viele Menschen mit dem Namen Paul Stern gab. Der Name gibt einen Hinweis darauf, dass Paul Stern jüdischer Herkunft sein könnte. Was ist nach dem Erwerb 1920 passiert? War Paul Stern 1933 noch Eigentümer? Hat er das Eigentum unter NS-Druck verloren? Verschiedene Hinweise führen zu der Annahme, dass der Paul Stern, der das Gemälde 1920 von der Galerie Cassirer erworben hat, nach München verzogen ist, aber schon vor 1920. Wieso wird der Münchner Paul Stern dann unter „1920-Paul Stern, Berlin“ geführt? Hatte er noch einen zweiten Wohnsitz?

Es gibt Fragezeichen, aber auch die Erkenntnis, dass der Münchener Paul Stern ein Freund von Bruno Cassirer, dem Cousin des Galeristen Paul Cassirer, war. Gab es damit auch 1920 noch einen Bezug des Münchners Paul Stern nach Berlin? Eine Nachfrage bei Sotheby‘s nach dem Einlieferer des Gemäldes führte nicht weiter. Im Juli 2023 hat Eline van Dijk in einem Interview mit dem Deutschlandfunk in der Reihe „Im Maschinenraum des Kulturbetriebs“ von ihrer Arbeit als Provenienzfor- scherin berichtet und dabei das Beispiel „Getreideernte“ von Max Liebermann vorgestellt. Den Beitrag, der nach 23 Uhr gesendet wurde, hat dann tatsächlich eine Person gehört, die einen neuen Hinweis geben konnte. Und plötzlich führt die Spur zu einem anderen Paul Stern, zu Paul Stern aus Breslau. Die Recherchen dauern an.

Zwischenresümee von Eline van Dijk: Auch nach 5 Jahren Recherche zur „Getreideernte“ kommen noch neue Informationen ans Licht. Aber bei anderen Fällen sei noch deutlich weniger gefunden worden. Transparenz sei für die Provenienzforschung wichtig. Deshalb solle man auch mit Zwischenergebnissen an die Öffentlichkeit gehen, wie mit ihrem Interview im Deutschlandfunk. Die Verknüpfung von Kunstgütern mit den Schicksalen der Menschen sei das Besondere der Provenienzforschung.

Faszinierend, mit welcher Geduld und Akribie Eline van Dijk sich ihrer Forschung widmet und sich auch von Rückschlägen nicht aufhalten lässt. Provenienzforschung ist eine junge kunsthistorische Disziplin. Eline van Dijk zitierte aus einem Schreiben des seinerzeitigen Museumsdirektors Dr. Walter Greischel vom 1. April 1952 an einen Kunsthändler mit Fragen nach der Herkunft eines Bildes, das das Landesmuseum erwerben möchte. In den 1990er Jahren kommt das Thema wieder auf, u. a. weil in vielen Archiven Sperrfristen aufgehoben werden. 1998 gab es eine eigene Konferenz zum Raub am jüdischen Besitz jeglicher Art, dort wurden die „Washingtoner Prinzipien“ verabschiedet. Es sind Prinzipien, Leitlinien, eben nichts Verbindliches. 2008 rückte die Provenienzforschung wieder mehr in den Blick der Öffentlichkeit durch den Restitutionsfall des Gemäldes „Berliner Straßenszene“ von Ernst Lud- wig Kirchner.

Und 2013 erhielt die Provenienzforschung dann durch den Schwabinger Kunstfund und Cornelius Gurlitt größere Aufmerksamkeit und Unterstützung. Dem LWL-Museum für Kunst und Kultur ist die proaktive Forschung nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut ein Anliegen. Deshalb ist es auch nur zu wünschen, dass die Provenienzforschung am Museum mit Eline van Dijk über die Projektförderung hinaus im Interesse ihrer Nachhaltigkeit dauerhaft erhalten bleibt. Eline van Dijk hat uns eingeladen, am 10. April 2024, dem Internationalen Tag der Provenienzforschung, in das LWL-Museum für Kunst und Kultur zu kommen. Hier wird in Kooperation mit den Arolsen Archives, dem Archiv zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus, um 19 Uhr ein Abend zu einer modernen, jungen Erinnerungskultur und digitaler Archivrecherche veranstaltet.

Mit gebannter Aufmerksamkeit und reichem Beifall dankten die Anwesenden der hervorragenden Referentin. TEXT: MICHAELA HEUER