"Stoner"

Der Literaturkreis des Civilclubs unter der Leitung von Frau Astrid Wesserling tagte am 2.11.2023. Das Thema war diesmal: John Williams, Stoner. Roman. aus dem Amerikanischen von B. Robben (2013) dtv. 349 S. Der Roman erschien erstmals in den USA 1965 und war zunächst ein Misserfolg (2000 verkaufte Exemplare) 2006 wurde er erneut aufgelegt und von der internationalen Kritik immerhin wahrgenommen.

Erst die Übersetzungen in mehrere europäische Sprachen, insbesondere die ins Französische, Italienische, Niederländische und Deutsche (2013) verhalfen dem Roman zum Durchbruch. Heute zählt „Stoner“ zu den modernen Klassikern der amerikanischen Literatur und ist ein Welterfolg. Williams schreibt in einer genauen, differenzierten und suggestiven Sprache die Geschichte eines Hochschullehrers in der ersten Hälfte des 20. Jhdts. in Missouri/USA. Der Roman ist ernsthaft, still, geräuschlos und von starker Intensität. Seine Hauptfigur William Stoner ist der einzige Sohn eines armen Farmerehe- paares,das sich auf seiner kleinen Farm schweigend zu Tode arbeitet. William wird von seinem Vater 1910 auf die University of Missouri in Columbia geschickt, studiert dort bald mit brennender Begeisterung Literatur und nicht, wie vorgesehen, Landwirtschaft und wird zunächst, Dozent und dann Professor für Englische Literatur an dieser Provinzuniversität.

Er heiratet 1919 völlig unerfahren und naiv verliebt Edith Bostwick, die hübsche Tochter einer wohlhabenden Bankiersfamilie aus St. Louis, welche allerdings bei dem Börsenkrach 1927 verarmt. Die Ehe entwickelt sich bald zu einer zwischenmenschlichen Katastrophe, voller Unverständnis und Hass. Die gemeinsame Tochter Grace gerät zwischen das zerquälte Elternpaar, wird mit 18 schwanger, im 2. Weltkrieg jung Witwe und allein und mit dem Kind überfordert zur Alkoholikerin. Stoner erträgt dieses traurige und entbehrungsvolle Familienleben stoisch, aber immer veranwortungs- und rücksichtsvoll auf das Wohlergehen seiner Frau und sei- ner Tochter bedacht ohne Widerstand. Diesen hat er bei seinen stumm leidenden Eltern auf der kleinen Farm auch nicht gelernt. Eine Intrige, ausgelöst durch einen Konflikt mit seinem zwar sehr intelligenten, aber unberechenbar bösartigen, schwer behinderten Kollegen namens Lomax, beendet Stoners Karriere an der Universität In diesem Konflikt zeigt sich seine Gradlinigkeit und Wahrhaftigkeit und seine große Liebe zu seinem Fach, der Literatur. Er kann sich bei der Zulassungsprüfung eines faulen und anmaßenden aber auch schwer behinderten Studenten nicht verbiegen und an falsche Maßstäbe anpassen, wie es sein Kollege Lomax fordert.

Deswegen wird er von seinen Kollegen ausgegrenzt, überholt und für lange Zeit mit der Betreuung von Studienanfängern zu ungünstigen Tageszeiten beschäftigt. und damit kaltgestellt. Eine ganz wunderbar erzählte tiefe Liebesbeziehung zu einer Stu- dentin, Katherine Driscoll, bringt Stoner eine Phase des Glücks, die aber schnell endet, da er sich von seiner unselbständigen Frau Edith ohne Beruf und eigenes Einkommen, nicht scheiden lassen kann. Stoner stirbt einige Jahre später mit 65 Jahren an Krebs, nachdem er noch einmal eine Phase intensiven Glücks nur durch seine Arbeit und seine Wissenschaft erlebt hat. Gern hätte er über die Altersgrenze hinaus noch bis zum Alter von 68 Jahren weitergelehrt und gearbeitet, Krankheit und Tod verhindern dies. Dieses Buch berichtet von einem einfachen, schlichten Leben voll grenzenloser Bemühung, Disziplin und Arbeit und bitteren Enttäuschungen, aber auch von dem großen Glück, das die Beschäftigung mit der Wissenschaft bieten kann.

Die Figur Stoner ähnelt ihrem Autor John Williams, der auch Dozent für Englische Literatur an der Missouri University war und der mit seinen vier Romanen zu Lebzeiten keinen Erfolg hatte, aber rund 20 Jahre nach seinem Tod zum weltweiten Bestsellautor avancierte. Der Literaturkreis diskutierte u. a. die beiden divergierenden Frauenfiguren Edith und Katherine vor dem Hintergrund des Frauenbildes in den USA in den 50er und frühen 60er Jahren und die vielleicht etwas fragwürdige Duldsamkeit und Passivität Stoners gegenüber seinem unglücklichen Leben und den Menschen, die dies verursachten. Die Intrige des behinderten parteiischen Kollegen gegen Stoner wurde als paradigmatisch für derartige Konflikte beurteilt. Die Auffassung, dass der Aufbau des Romans den fünf Schritten der klassischen Tragödie folgt: 1) Exposition Kap I, 2) Steigerung der Handlung, erregendes Moment: Kap. II–VII, 3) Höhepunkt des Konflikts Kap. VIII–XI, 4) Retardation Kap. XII und XIII, 5) fallende Handlung Kap XIV–XVI und Katastrophe Kap XVII, wurde nicht von allen Teilnehmerinnen geteilt. Aber alle waren der Ansicht, dass „Stoner“ ein wunderbares Buch eines Autors ist, der das Leben kennt und der authentisch und wahrhaftig schreibt . Für mich selbst war „Stoner“ bereits 2013 ein großartiges, unvergessliches Leseerlebnis. JEANNETTE HUGUES-SCHWEGMANN